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Unterwegs im Land des janteloven

Die Ulriksbanen hoch über Bergen, Norwegen

Dr. Frauke Rademann-Veith war in Norwegen in ein Coachingprogramm für Führungskräfte in der Automobilbranche eingebunden. Ihre subjektiven Eindrücke über die kulturellen Unterschiede zwischen der Arbeitswelt dort und hier in Deutschland beschreibt sie hier:

„Das ist jetzt aber ziemlich deutsch, oder?“ Wenn ich das zu hören kriege, habe ich vermutlich gerade ein Formular aus der Tasche gezogen, das viele Unterschriften vorsieht. Oder ich beschreibe einen Prozess, der Genehmigungen vorsieht, wo meine norwegischen Kollegen Absprachen treffen würden. Wir Deutschen gelten in Norwegen nämlich als Kontrollfreaks. Vielleicht habe ich auch meine Erwartungen eine Spur zu bestimmt formuliert. Wie fast überall auf der Welt sind wir nämlich auch in Norwegen für unseren Hang zur klaren Ansage berüchtigt.

In Norwegen arbeitet man ausgesprochen teamorientiert. Und dazu gehört auch die Tendenz, sich gegenseitig zu schonen. Das kann durchaus mühsam sein. Wenn zum Beispiel partout nicht herauszukriegen ist, wer denn am Ende eine bestimmte Entscheidung trifft. Oder wenn Meinungsverschiedenheiten weit unter der Oberfläche bleiben. Offen ausgetragene Konflikte – die im Übrigen in meinem bisherigen Arbeitsleben in Deutschland auch nicht die Regel sind – bedeuten in Norwegen einen handfesten Skandal.

Das für manchen sicher Erstaunliche ist: Es funktioniert. Nach meiner Erfahrung herrscht im Allgemeinen ein sehr gutes Arbeitsklima. Dazu tragen auch flache Hierarchien und viel Eigenverantwortung im Job bei. Arbeit in Norwegen macht Spaß – und das muss sie auch, das ist eindeutiger gesellschaftlicher Konsens.

Das kommt nicht von ungefähr. In Norwegen gibt es beispielsweise viele Jobs für ältere Menschen – Arbeitsplätze, die so organisiert sind, dass sie der geringeren körperlichen Leitungsfähigkeit im Alter Rechnung tragen. Das hat zur Folge, dass Belegschaften in Norwegen meist ein echtes Generationengemisch darstellen. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist hoch entwickelt. Es ist üblich, dass beide Elternteile arbeiten und sich um die Kinderbetreuung kümmern. Elternzeit und Teilzeitarbeit ist auch für Väter selbstverständlich. Familie, Freizeit und die eigene Gesundheit haben einen sehr hohen Stellenwert. Permanenter Stress und Sechzig-Stunden-Wochen sind kein Statussymbol, sondern bestenfalls Grund zum Mitleid und nähren den Verdacht, dass hier jemand in seinem Job überfordert ist.

In einem Land mit niedriger Arbeitslosigkeit, hohem Lebensstandard und vergleichsweise geringen Einkommensunterschieden verlieren hierarchische Unterschiede und Statussymbole an Bedeutung. Ein hierarchischer Abstieg ist weder finanziell noch sozial ein großes Problem. Immer wieder erlebe ich, dass Führungskräfte wieder auf eine einfache Teamposition wechseln, ohne dass sie als gescheitert gelten. Schließlich, siehe oben, muss die Arbeit ja Spaß machen und wenn sie das eher auf einer rangniedrigen Position tut: Bitte sehr!

All die ganz praktischen Argumente für eine Welt der flachen Hierarchien und des Vertrauens in Leistung und Integrität der Kollegen sind aber nur die halbe Wahrheit. Selbst wenn sie wollten, kämen die Norweger letztlich nicht gegen das janteloven an. Das „Gesetz von Jante“ ist eine Wortschöpfung des dänischen Schriftstellers Aksel Sandemose aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es beschreibt die tief in den Skandinaviern verwurzelte Überzeugung, dass man sich nicht besser oder klüger geben sollte als andere. Obwohl dem janteloven auch etwas Kleingeistiges anhaftet, ist es bis heute im Grunde verpönt, sich im Umgang miteinander über den Anderen zu stellen.